Jahre lang zog der sogenannte NSU mordend durch Deutschland und niemand gebot ihm Einhalt. Die
Ermittlungspannen, die dazu führten, sind hinlänglich bekannt. Aber war es wirklich nur
ermittlungstechnischer Dilletantismus, der zu dieser Katastrophe führte? Glauben zu sollen, dass ein
BND-Mitarbeiter ganz zufällig in einem Lokal saß, als der Inhaber vom NSU ermordet wurde, bleibt
eine Beleidigung für den gesunden Menschenversand.
Unter dem Eindruck dieser Ereignisse entstand ein Roman, der mit dem NSU direkt gar nichts zu tun
hat. Es geht hier vielmehr um Neonaziverbrechen, hinter denen eine Organisation steht, der auch
ehrenwerte Bürger angehören. Es geht um die Frage, wie solche Organisationen noch durch “echte”
Nazis (also Personen, die vor 1945 zu Verbrechern wurden) beeinflusst oder gar gesteuert werden
oder wurden, und nicht zuletzt um die Geschichte einer Liebe, die am Nationalsozialismus zerbrach,
aber erst sechzig Jahre später ihr Ende fand.
(Es sei darauf hingewiesen, dass der Roman in einer Zeit spielt, in der die AfD noch keine Rolle spielte.)
Der dritte Fall
METASTASEN
EINES
VERBRECHENS
Ein Roman gegen das Vergessen
Die Geschichte beginnt mit verschiedenen, zeitlich sehr weit auseinanderliegenden
Ereignissen.
In der Jetztzeit:
Ein Asylbewerberheim in Heidelberg wird von Skinheads angegriffen. Dabei wird ein
kleines Mädchen schwer misshandelt und dessen Mutter lebensgefährlich verletzt.
Drei Jahre vorher:
Zwei alte Damen ziehen schweren Herzens in ein Altenwohnheim und freunden sich dort
schnell mit einem sehr merkwürdigen gleichaltrigen Herren an.
Vor sehr langer Zeit (Sommer 1924):
Ein zweijähriger Junge fällt in einen Gartenteich und kann erst im allerletzten Moment
gerettet werden.
Weitere Ereignisse in der Jetztzeit:
Der Sohn einer der alten Damen wird bei der Kripo vorstellig, weil er den Verdacht hat, in
dem Altenheim lebe unter falschem Namen ein Kriegsverbrecher aus dem Zweiten
Weltkrieg. Wenig später wird im Kurpfälzischen Museum am helllichten Tag ein Mann
erschossen. Niemand will etwas gemerkt haben.
Und schließlich betritt noch ein mysteriöses Paar, Graf und Gräfin von Blauwitz die Bühne.
In ihrem Schloss tief im Wald nahe Neckargemünd treffen sich regelmäßig Gestalten, die
das Licht des Tages scheuen.
Im Wechsel zu diesen Ereignissen geht die Geschichte des kleinen Jungen weiter, der in
den Teich gefallen war. Dabei lernen wir bald ein sehr aufgewecktes Mädchen kennen.
Das Schicksal dieser beiden Kinder bis 1945 wird im weiteren Verlauf eine zentrale Rolle
spielen.
Und wie hängt das alles zusammen?
Im Laufe des Geschehens wird immer deutlicher: Alles ereignet sich auf dem Hintergrund
der Megaverbrechen des letzten Jahrhunderts, der Weltkriege und des Holocaust. Die
Ermittler, die auch selbst in den Strudel dieser Verbrechen hineingezogen und zu Opfern
werden, müssen in dieser Situation die Grenzen ihrer Möglichkeit, ja unseres
Rechtssystems anerkennen. Der Widerstreit von Recht und Gerechtigkeit, von
Dienstvorschrift und Moral verlangt ihnen existentielle Entscheidungen ab.
Sie
sind
jetzt
so
neugierig
geworden,
dass
Sie
das
Buch
sofort lesen
wollen?
Sie möchten lieber erst etwas probelesen?
© Christoph Wagner 2013
Zuletzt aktualisiert:11. September 2016
EIn Sommermorgen in Heidelberg
Vor
dem
Asylbewerberheim
draußen
im
Pfaffengrunder
Industriegebiet
hörte
man
helles
Lachen
und
freudiges
Schreien.
Auf
einem
Brachgelände
auf
der
gegenüberliegenden
Straßenseite
spielten
fünf
Kinder,
vier
Mädchen
und
ein
Junge,
mit
einem
roten
Ball.
Sie
kamen
aus
verschiedenen
Ländern
mit
unterschiedlichen
Sprachen.
Dennoch
verstanden
sie
sich
spielend
und
waren
glücklich.
Für
Augenblicke
konnten
sie
die
furchtbaren
Erlebnisse
vergessen,
die
sie hier in der Fremde zusammengeführt hatten und die sie oft nachts nicht schlafen ließen.
Doch
dann
standen
unversehens
zwei
junge
Männer
unter
ihnen,
kahlgeschoren,
in
schwarzem
Lederzeug
und
Springerstiefeln.
Die
Kinder
hatten
sie
nicht
kommen
sehen.
Einer
von
ihnen
fing
den
Ball
auf,
warf
ihn
seinem
Kumpel
zu,
der
warf
ihn
wieder
zurück.
So
ging
es
eine
Weile.
Die
Kinder
waren
erst
arglos,
hielten
das
für
Spaß,
wollten
mitspielen, versuchten, den Ball zurückzuerobern.
Doch
dann
hatte
der
eine
plötzlich
ein
Messer
in
der
Hand,
warf
den
Ball
hoch
und
fing
ihn
mit
dem
Messer
auf.
Die
Luft
entwich
zischend.
Entsetzt
schauten
die
Kinder
auf
den
kaputten
Ball,
begriffen
endlich,
dass
das
hier
kein
Spaß
war,
und
liefen
schreiend
davon.
Eines
der
Mädchen
war
zu
langsam.
Es
war
die
Kleinste,
wohl
gerade
erst
vier
Jahre
alt.
Die
beiden Kerle fassten sie und schubsten sie ein paarmal zwischen sich hin und her.
Dann
griff
sie
der
mit
dem
Messer
bei
den
langen
schwarzen
Haaren,
hob
sie
hoch
–
sie
schrie
fürchterlich
–
und
durchschnitt
ihr
schönes
Haar,
so
dass
sie
auf
den
Boden
fiel.
Ehe
sie
sich
aufrappeln
konnte,
packte
sie
der
andere
mit
festem
Griff
an
den
Händen.
Er
schlenkerte
sie
ein
paarmal
hin
und
her
und
sagte
dann:
„Na,
du
kleine
Araberhure, wie gefällt dir das?“
Das Kind sah ihn völlig erstarrt mit großen Augen an.
„Ich hab eine Idee. Du lernst jetzt fliegen. Pass mal auf.“
Er
fasste
ihre
Arme
jetzt
auch
mit
der
zweiten
Hand,
drehte
sich
mehrmals
wie
ein
Hammerwerfer
um
die
eigene
Achse
und
schleuderte
sie
dann
in
die
Luft.
Das
Kind
flog
einige
Meter
weit,
schlug
auf
der
Straße
auf,
rutschte
weiter,
bis
es
an
der Bordsteinkante zum Fußweg leise wimmernd liegenblieb.
In
diesem
Augenblick
kamen
wild
gestikulierend
zwei
Frauen
aus
dem
Haus
gerannt,
um
dem
Mädchen
beizustehen.
Die
anderen
Kinder
waren
hinter
ihnen,
aber
sie
blieben
in
der
Tür
stehen.
Doch
die
Skins
versperrten
den
Frauen
den
Weg
und
schlugen
ihnen
heftig
ins
Gesicht.
Die
eine
konnte
fliehen,
während
die
andere
niedergerissen
wurde.
Einer
der
beiden
sprang
auf
sie,
setzte
sich
auf
ihren
Bauch
und
legte
ihr
das
Messer
an
den
Hals.
Die
Frau
zitterte
am
ganzen
Körper.
„So,
du
Araberfotze,
hast
wohl
gedacht,
du
kannst
hier
einfach
nach
Deutschland
kommen
und
dir
auf
unsere
Kosten
ein
schönes Leben machen. Nee, nee, is nich. Das werden wir zu verhindern wissen.“
Im Altenheim
Die
Tür
öffnete
sich,
eine
kleine,
zierliche
Pflegerin
asiatischer
Herkunft
trat
ein
und
sprach
sie
sehr
freundlich
an:
„Ich bin Fengzhi Zhang. Ich Sie zum Mittagessen bringen.“
„Na, dann wollen wir“, erwiderte Hannah entschlossen.
Sie
gingen
den
gewinkelten
Flur
zum
Aufzug
zurück,
fuhren
hinunter
ins
Erdgeschoss
und
mussten
wieder
durch
einen
langen
Gang
gehen,
ehe
sie
den
Speisesaal
erreichten.
Fengzhi
Zhang
ging
auf
einen
Tisch
an
der
langen
Fensterfront zu.
„Hier Sie bitte Platz nehmen. Ich vorstellen Herr Adolf Reimann und Herr Fritjof Fries.“
Während der Herr Reimann gar nicht reagierte, erhob sich Fries und begrüßte die Neuzugänge überschwänglich.
„Seien
Sie
herzlich
begrüßt,
meine
Damen.
Ich
bin
ja
so
froh,
dass
wir
endlich
wieder
Gesellschaft
bekommen,
und
noch dazu so charmante. Ich will Sie ja nicht erschrecken, aber die beiden Damen, die früher hier saßen …“
„Tief
ist
Deutschland
gefallen
...
jetzt
sind
die
Chinesen
schon
hier“,
unterbrach
ihn
sein
Tischnachbar
mit
schnarrender Stimme.
„Ach,
Herr
Reimann,
das
ist
doch
gar
nicht
weiter
schlimm.
Ganz
im
Gegenteil.
Es
gibt
leider
zu
wenig
Deutsche,
die
diese
Arbeit
machen
wollen.
Deswegen
müssen
wir
doch
froh
sein,
dass
Menschen
aus
fremden
Ländern
zu
uns
kommen,
um
uns
zu
helfen.
Und
Fengzhi
Zhang
ist
doch
ausgesprochen
freundlich
und
zuvorkommend,
eine
Bereicherung für das Haus.“
Adolf
Reimann
brummte
unverständlich
vor
sich
hin,
bevor
er
wieder
in
Schweigen
verfiel
und
sein
Gesicht
einen
völlig leeren Ausdruck annahm.
Fries
wandte
sich
wieder
den
beiden
Damen
zu.
„Entschuldigen
Sie,
aber
er
lebt
schon
seit
Jahren
in
seiner
eigenen
Welt
…
Wo
war
ich
noch
mal
stehengeblieben?
Ach
ja,
Ihre
Vorgängerinnen
auf
diesen
Plätzen.
Wie
gesagt,
ich
will
Sie
nicht
erschrecken.
Aber
vor
einem
Monat
haben
sich
die
beiden
Damen
innerhalb
von
zehn
Tagen
nacheinander
verabschiedet.
Ich
bin
jetzt
bereits
neun
lange
Jahre
in
diesem
Haus.
Ich
zähle
gar
nicht
mehr
mit,
wie
viele
Tischnachbarn
sich
in
der
Zeit
schon
auf
Wolke
sieben
davongemacht
haben.
Aber
Sie
werden
mir
doch
hoffentlich
lange erhalten bleiben. Seit wann sind Sie im Haus?“
„Wir
sind
heute
Vormittag
angekommen“,
antwortete
Hedwig
und
versuchte,
ihn
freundlich
anzusehen.
Hannah
war
überrascht
und
froh,
dass
ihre
Freundin
von
sich
aus
am
Tischgespräch
teilnahm.
Denn
sie
konnte
gar
nicht
richtig zuhören, so sehr war auch sie noch in dem Schmerz über den endgültigen Verlust ihrer Villa gefangen.
„Ich
bin
Ihnen
gerne
behilflich
bei
der
Eingewöhnung.
Ich
sagte
ja
schon,
ich
lebe
seit
neun
Jahren
hier
und
kenne
alles genau.“
„Dann
haben
wir
ja
wohl
großes
Glück
gehabt,
dass
wir
gerade
zu
Ihnen
an
den
Tisch
gekommen
sind“,
entgegnete Hedwig und versuchte zu lächeln.
Mittlerweile hatte eine Küchenhilfe die Suppe aufgetragen.
„Mal
sehen,
was
die
uns
heute
zumuten“,
meinte
Fries
lachend.
„In
diesem
Haus
kann
man
sich
wirklich
sehr
wohl
fühlen.
Aber
das
Essen
–
leider
oft
sehr
fad.
Ach,
Grießklößchensuppe
haben
die
heute
mal
wieder,
die
gibt
es
oft.
Und
die
schmeckt
ausnahmsweise
richtig
gut.
Aber
vielleicht
bin
ich
auch
verwöhnt.
Wissen
Sie,
ich
habe
lange
in
…“
„Wer
soll
die
Welt
noch
verstehen?“,
unterbrach
ihn
wieder
die
schnarrende
Stimme
von
Adolf
Reimann.
„Ein
Nigger
als
Präsident
in
Amerika
…
und
Deutschland
von
einer
Frau
regiert
…
da
geht
alles
bergab
…
und
beim
Militär soll’s jetzt auch Frauen geben … dann gute Nacht, wenn der Russe kommt! ...“
Fries
sah
achselzuckend
zu
Hannah
und
Hedwig
hinüber.
Reimann
war
ganz
rot
im
Gesicht
angelaufen.
Er
schnaufte
heftig.
Dieses
ungewöhnlich
lange
Statement
hatte
ihn
offenbar
sehr
angestrengt.
Fries
legte
ihm
begütigend
die
Hand
auf
den
Arm.
„Reimann,
beruhigen
Sie
sich.
Alles
halb
so
schlimm.
Und
uns
kann
es
eh
egal
sein. Wir haben alles bald hinter uns. Sollen sich die Jungen damit herumschlagen.“
Der
Alte
drehte
seinen
Kopf
zu
ihm
hin
und
wollte
noch
etwas
sagen,
hatte
aber
bereits
vergessen,
was
es
war.
Sein
Gesicht
verfiel
wieder
in
Ausdruckslosigkeit.
Er
wandte
sich
seinem
Teller
zu
und
begann
geräuschvoll
die
Suppe zu löffeln.
August 1924
“Fritzchen ist reingefallen!“, schrie die sechsjährige Marianne, „Tante Ruth, Tante Ruth, komm schnell!“
In
panischer
Angst
rannte
das
Mädchen
den
Abhang
hinauf
zu
der
prächtigen
Villa
im
Graimbergweg,
die
die
Familien
Wiechmann und Rosenbaum schon seit mehr als zehn Jahren gemeinsam bewohnten.
Ruth
Rosenbaum
saß
an
diesem
heißen
Augusttag
bei
offenem
Fenster
mit
einer
Strickarbeit
in
ihrem
Wohnzimmer
im
ersten
Stock,
das
zum
Garten
lag.
Als
sie
das
schreiende
Kind
auf
das
Haus
zu
laufen
sah,
schreckte
sie
auf,
warf
ihr
Strickzeug hin und rannte die Treppe hinunter. In der Tür zum Garten stieß sie fast mit Marianne zusammen.
„Kind, was ist passiert?“
„Fritzchen ist – zum Teich – gelaufen – und ist reingefallen“, stieß sie weinend hervor.
„Du
solltest
doch
aufpassen!“,
schrie
Ruth
Rosenbaum,
stieß
sie
zur
Seite
und
hetzte,
ohne
weiter
auf
sie
zu
achten,
zwischen
den
Apfelbäumen
hindurch
zum
Gartenteich
in
der
hinteren
Ecke
des
Grundstücks
hinunter.
Am
Rand
kniete
ihr
kleiner
Sohn,
der
dreijährige
Emanuel,
und
versuchte
weinend,
mit
seinen
kleinen
Händen
Fritzchen
zu
erreichen.
Aber
seine Arme waren zu kurz. Die Mutter riss ihn weg, so dass er laut aufschrie.
„Nicht, dass du mir hier auch noch reinfällst!“
Sie
sprang
in
den
Teich,
dessen
Wasser
ihr
bis
zu
den
Knien
reichte,
zog
das
Kind
heraus
und
legte
es
auf
den
Rücken
neben die Beckenumrandung. Sie schlug leicht auf seine Wangen.
„Fritzchen, aufwachen! Fritzchen, mach schon!“
Aber
das
Kind
atmete
nicht
mehr.
Die
gelernte
Krankenschwester
legte
ihren
Mund
auf
den
Mund
des
Kindes,
blies
heftig
Luft
in
die
Lungen
und
begann
dann
mit
den
Handballen
in
schnellen,
rhythmischen
Bewegungen
den
Brustkorb
zusammenzudrücken
und
wieder
loszulassen.
Marianne
und
Emanuel
standen
mit
bleichen
Gesichtern
daneben
und
sahen ihr angstvoll zu.
„Was
steht
ihr
hier
herum?
Marianne,
du
kannst
schon
telefonieren.
Lauf
ins
Haus
und
ruf
Dr.
Milbraadt
an.
Sag
ihm,
was
passiert ist. Er muss sofort kommen! Sofort!“
Während Marianne loslief, hockte sich Emanuel neben seine Mutter und begann ganz sacht Fritzchens Füße zu streicheln.
Ruth
Rosenbaum
setzte
mit
sicheren
Handgriffen
Herzmassage
und
Mund-zu-Mund-Beatmung
fort.
Es
war
ein
großes
Glück, dass sie genau wusste, was zu tun war.
Sie
lief
im
Gesicht
rot
an
und
ihr
Atem
ging
hektisch.
Mein
Gott,
mein
Gott,
lass
ihn
wieder
aufwachen!
Ich
bin
schuld,
wenn
er
stirbt.
Ich
hätte
besser
aufpassen
müssen,
hätte
die
Kinder
nicht
alleine
lassen
dürfen.
Sind
noch
zu
klein.
Wie
soll
ich
das
Paul
und
Maria
erklären?
Wie
lange
mag
Fritzchen
schon
im
Wasser
gelegen
haben?
Vielleicht
hatte
ja
alles
keinen Sinn mehr. Sie versuchte, diese Gedanken beiseite zu schieben, und arbeitete mechanisch weiter.
Bald kam Marianne zurück und sagte ganz schüchtern: „Dr. Milbraadt kommt in zwei Minuten.“
Ruth
Rosenbaum
nahm
das
gar
nicht
wahr
und
sie
achtete
auch
nicht
darauf,
dass
ihr
zweites
Kind,
die
knapp
einjährige
Hannah,
die
in
ihrer
Wiege
neben
der
Tür
zum
Garten
lag,
plötzlich
fürchterlich
zu
schreien
anfing.
Verbissen
fuhr
sie
mit
ihren
Wiederbelebungsversuchen
fort:
Drücken
–
loslassen
–
drücken
–
loslassen,
nach
vier
Mal
Luft
in
die
Lungen
blasen
und wieder ausströmen lassen.
Kommissar Brombach bei nächtlichen Ermittlungen
Plötzlich
wildes
Flattern.
Brombach
zuckte
zusammen.
Aber
er
hatte
nur
einige
Fledermäuse
aufgescheucht,
die
jetzt
aufgeregt
durch
den
Gang
schwirrten,
ehe
sie
durch
die
Luken
im
Dach
nach
draußen
verschwanden.
Aber
einige
Pferde
waren
nervös
geworden.
Heftiges
Schnauben
und
Hufestampfen.
Ganz
in
seiner
Nähe
streckte
ein
Pferd seinen Kopf aus der Box und sah in den Gang hinein. Aus derselben Box ertönte plötzlich eine Stimme.
„Beruhige dich, Tristan, da ist nichts, das waren nur die Fledermäuse.“
War das eine tiefe Frauenstimme oder eine hohe Männerstimme? Schwer zu sagen.
Was
tun?
Flucht
oder
Deckung?
Die
Person
konnte
jeden
Moment
auf
den
Gang
hinaustreten.
Für
Flucht
konnte
es
schon zu spät sein.
Also
warf
er
sich
auf
den
Boden
und
drückte
sich
ganz
eng
an
die
Wand,
wo
so
gut
wie
kein
Licht
hinkam.
Tatsächlich
öffnete
sich
bereits
nach
wenigen
Sekunden
die
Tür
zur
Box
und
eine
große,
weiße
Gestalt
trat
heraus.
Brombach
war
perplex.
Wer
konnte
das
sein?
Ein
weniger
nüchtern
veranlagter
Mensch
hätte
sich
wahrscheinlich
dem
Schlossgespenst
gegenübergesehen.
Doch
auch
er
war
unmittelbar
fasziniert
von
dieser
trotz
der
schwachen
Beleuchtung
wahrhaft
eindrucksvollen
Erscheinung.
Sie
war
in
ein
knöchellanges,
wallendes
Kleid,
gehüllt,
hatte
volles,
bis
über
das
Gesäß
reichendes
weißes
Haar,
doch
ihr
Gesicht
war
nicht
zu
erkennen.
Es
schien
hinter
einem
Schleier
verborgen.
Das
muss
eine
Frau
sein,
dachte
Brombach,
wahrscheinlich
schon
in
vorgerücktem
Alter. War es etwa die Gräfin Reinhild von Blauwitz höchstselbst?
Die
Gestalt
drehte
sich
noch
einmal
zu
dem
Pferd
um,
das
selbst
Brombach,
der
eigentlich
von
Pferden
nichts
verstand,
trotz
des
Dämmerlichts
als
besonders
edles
Tier
erkannte.
Sie
nahm
dessen
Kopf
liebevoll
in
den
Arm,
streichelte
ihn
zärtlich
und
drückte
Küsse
auf
seine
Nüstern
und
Augen.
Auch
das
Pferd
schien
die
Liebkosungen
zu
genießen,
und
so
dauerte
es
lange,
bis
sie
sich
von
dem
Tier
löste
und
ihm
dabei
ein
„Gute
Nacht,
mein
Tristan“
ins Ohr flüsterte.
Dann
ging
sie
langsam
den
Gang
entlang
und
kam
dabei
ganz
nahe
an
Brombach
vorbei,
ohne
ihn
zu
bemerken.
Er
war
sich
jetzt
sicher,
dass
es
sich
um
eine
Frau
handelte.
Von
Box
zu
Box
verabschiedete
sie
jedes
der
Pferde
auf
ähnliche
Weise
in
die
Nacht.
Brombach
wunderte
sich
über
die
Namen,
die
er
da
hörte:
Lohengrin,
Tannhäuser,
Brünhilde,
Elsa,
Parsifal,
Venus,
Senta
Es
handelt
sich
durchweg
um
Protagonisten
aus
Opern
von
Richard
Wagner.
Schließlich
verschwand
die
Frau
im
Querhaus.
Dann
ging
eine
Tür
und
es
war
wieder
still.
Benommen
stand
Brombach
auf
und
sah
der
weißen
Gestalt
noch
lange
nach.
Diese
Frau
hatte
ihn
völlig
verwirrt.
Was
er
da
gerade
erlebt
hatte,
lag
gänzlich
außerhalb
seiner
bisherigen
Erfahrung.
Die
Gefühlsintensität,
die
sie
ihren
Pferden
entgegenbrachte,
war
ihm
unheimlich,
aber
sie
war
ganz
natürlich,
ohne
jede
Sentimentalität.
Es
erschien
ihm,
als
habe
die
Priesterin
eines
längst
vergessenen
Kultes
ein
uraltes
Mysterium
zelebriert.
Aber
wie
passte
das
in
ein
Haus, in dem sie die Schaltzentrale einer Verbrecherorganisation vermuteten?
Drei Amateurermittler
„Wir
sind
am
Ziel“,
flüsterte
Bernhard,
und
die
drei
gingen
bis
ganz
an
die
Hütte
heran.
Sie
lauschten
eine
Weile
angestrengt.
Aber
außer
dem
Rauschen
des
Regens
war
nichts
zu
hören.
Bernhard
richtete
seine
Taschenlampe
auf
die mit zwei Vorhängeschlössern gesicherte Eingangstür.
„Halt mal die Taschenlampe“, sagte er zu Berenice, „und richte sie auf das Schloss!“
Er
holte
einen
Bolzenschneider
aus
seiner
Umhängetasche.
Zweimal
knackte
es
laut
und
die
Tür
war
offen.
Geräuschlos
schlüpften
sie
in
die
Hütte.
Es
roch
muffig.
Bernhard
leuchtete
den
ganzen
Innenraum
ab.
Kein
Mensch
war zu sehen.
„War wohl nichts“, meinte Janine leicht spöttisch und schien erleichtert. „Hast dich wohl geirrt.“
„Nicht so schnell. Wahrscheinlich gibt es hier irgendeine Falltür, die zu einem Keller führt.“
Aber
Bernhard
wurde
nervös.
Wenn
sie
hier
tatsächlich
nichts
fänden?
Nicht
auszudenken.
Er
wäre
bis
auf
die
Knochen blamiert.
Noch
einmal
ließ
er
den
Strahl
seiner
Taschenlampe
über
den
Boden
gleiten.
In
der
rechten
hinteren
Ecke
lag
ein
Stapel Holzbretter. Er kniete sich hin und tastete mit der Hand den Boden ab. Da fühlte er einen schmalen Spalt.
„Hier ist es. Helft mir mal, die Bretter beiseitezuschieben.“
Und
da
war
tatsächlich
eine
Falltür,
etwa
achtzig
auf
achtzig
Zentimeter.
Sie
hatte
kein
Schloss.
Bernhard
konnte
sie
anheben.
Ein
übler
Geruch
nach
Fäkalien
kam
ihnen
entgegen.
Bernhard
leuchtete
nach
unten.
Da
war
ein
gemauertes
Kellergewölbe, viel größer als die Waldhütte selbst. Er horchte hinab. Er glaubte Atemzüge zu vernehmen.
„Hallo, ist da jemand?“
Als Antwort kam ein leichtes Stöhnen.
„Da ist jemand! Das muss er sein!“
„Kann man runter?“, fragte Berenice.
„Der Raum ist mehr als drei Meter tief. Es muss hier irgendwo eine Leiter geben.“
Sie suchten. In der Hütte war nichts. Sie hing draußen an einer Seitenwand. Sie nahmen sie ab, trugen sie in die Hütte
und ließen sie durch die Falltür hinabgleiten. Bernhard stieg als Erster nach unten, dann folgte Berenice, und
schließlich kam auch noch Janine. In einer Ecke erkannten sie, auf dem blanken Steinboden liegend, eine menschliche
Gestalt. Sie sprangen hin und Berenice drehte seinen Kopf zu ihnen. …
Krisensitzung
Wenig
später
kam
die
Oberstaatsanwältin,
eine
korpulente
Endfünfzigerin
mit
langen
blonden,
offensichtlich
gefärbten
Haaren
und
übertrieben
rot
geschminkten
Lippen.
Travniczek
hatte
bisher
noch
fast
nie
mit
ihr
zu
tun
gehabt,
und
ihm
schwante
nichts
Gutes.
Sie
setzten
sich
zur
Krisensitzung
zusammen,
und
wie
er
vermutet
hatte,
wurde
die
Veranstaltung
über weite Strecken sehr unerfreulich.
Der
Oberstaatsanwältin
ging
es
vor
allem
um
die
Staatsräson:
Der
Staat
dürfe
sich
nicht
erpressen
lassen.
Sie
pries
ausführlich
das
vorbildliche
Verhalten
von
Altkanzler
Helmut
Schmidt,
der
seinerzeit
auf
dem
Höhepunkt
der
Baader-
Meinhof-Krise
auch
den
Tod
von
Hanns
Martin
Schleyer
in
Kauf
genommen
hätte.
Sie
machte
sich
zum
Anwalt
des
kleinen
Steuerzahlers,
dem
man
nicht
zumuten
dürfe,
eine
so
große
Summe
aufzubringen.
Als
Travniczek
ihr
vorhielt,
dass
es
immerhin
um
vier
Menschenleben
ginge,
wich
sie
aus,
in
dem
sie
darauf
beharrte,
dass
die
Beteiligten
sich
schließlich
selbst
durch
grobe
Fahrlässigkeit
oder
sogar
vorsätzliche
Verletzung
von
Dienstvorschriften
in
ihre
missliche
Lage gebracht hätten.
Überraschend
war,
dass
sich
dann
ausgerechnet
Staatsanwalt
Wurlitzer,
den
Travniczek
und
Lange
eigentlich
immer
für
sehr
schwach
gehalten
hatten,
vehement
dafür
einsetzte,
dass
die
Rettung
von
Menschenleben
erste
Priorität
haben
müsse.
Das
würde
sich
zum
einen
aus
den
Dienstvorschriften
ergeben,
zum
anderen
sei
ein
harter
Kurs
bei
der
Strategie
der
Erpresser
mit
Sicherheit
nicht
bis
zum
Schluss
durchzuhalten.
Die
wollten
ja
bei
Nichterfüllen
ihrer
Forderungen
nur
jeweils
einen
der
Verschleppten
töten
und
dann
neue,
noch
höhere
Forderungen
stellen.
Es
sei
davon
auszugehen,
dass
die
Sache
in
die
Medien
käme,
und
er
sage
voraus,
dass
der
Druck
der
öffentlichen
Meinung
spätestens
nach
dem
zweiten
Toten
so
groß
würde,
dass
letztendlich
der
Generalbundesanwalt
oder
gar
der
Innenminister
persönlich
zugunsten
der
Entführungsopfer intervenieren dürfte.
Kurz
und
gut,
der
Staat
und
auch
sie,
die
Frau
Oberstaatsanwältin,
würden
sicher
sehr
viel
besser
dastehen,
wenn
sie
sich
jetzt
nachgiebig
zeigten,
um
dann
mit
allen
zur
Verfügung
stehenden
Mitteln
zu
versuchen,
die
Täter
zu
überführen
und
das Geld wiederzuerlangen.
Dieses letzte Argument überzeugte Frau Dr. Matuschek dann doch. Allerdings wies sie darauf hin, die Entführten müssten
mit staatlichen Regressforderungen rechnen, wenn das Geld verlorenginge, …